Kigali Genocide Memorial (KGM), Kigali – Völkermord in Ruanda

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Texttafel im Kigali Genocide Memorial

„Ein Milizionär kam herauf um mich zu töten. Ich war überrascht weil er ein Freund war. Er pflegte jeden Tag in unser Haus zu kommen. Er bestellte die Felder meines Vaters und erhielt einen Lohn. Meine Mutter gab ihm zu Essen. Wir waren es gewohnt mit ihm zu spielen er war wie ein Bruder zu uns, obwohl wir nicht aus der gleichen Familie kamen.

Ich fragte ihn warum er mich töten wolle, obwohl ich ihm nichts getan habe. Ich bat ihn, Mitleid mit mir zu haben. Er sagte nichts, aber schlug mich nur mit einer Machete auf den Kopf. Er hat Holzstücke in der Hand, die er mir ins Gesicht steckte. Als er dachte dass ich tot sei, ging er.” Uwayisenga, 7 Jahre

Mir laufen langsam Tränen an der Wange herunter, als ich diesen Text auf einer Gedenktafel im „Kigali Genocide Memorial (KGM)” in der Hauptstadt Ruandas – Kigali las und auch jetzt, während des Schreibens kämpfe ich mit meiner Fassung.

Wie ist es möglich und was treibt Menschen/ ja Freunde dazu an, solch eine schreckliche Tat zu begehen? Was ist damals (gerade mal vor 22 Jahre) während des Völkermords in Ruanda geschehen und wie kam es dazu? Fragen über Fragen.

Die Bildungsrallye go4school 2016 führte uns nach dem Besuch von zwei Microschools am Nachmittag ins Genozid Denkmal nach Kigali. Eine wirklich gute und interessante Führung durch die Gedenkstätte sollte uns das Thema Völkermord nicht nur in Ruanda sondern auch an anderen Orten der Welt näher bringen. Sichtlich ergriffen wollten wir danach den zahlreichen Toten, die in 14 Massengräbern auf dem Gelände der Gedenkstätte ihre letzte Ruhe finden sollen mit einer Schweigeminute gedenken und Kränze niederlegen. Ein bewegender und sehr emotionaler Moment.

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Eins von 14 Massengräbern auf dem Gelände des Kigali Genocide Memorial, Ruanda in denen 250.000 Tote ihre letzte Ruhe finden

1994 wurden in nur 100 Tagen 800.000 bis 1.000.000 Menschen ermordet – Völkermord!

In der UN – Völkermordkonvention suche ich nach der Begriffsdefinition Genozid/ Völkermord: Völkermord wird auch als Genozid bezeichnet und stammt vom griechischen Wort für Herkunft, Abstammung (génos) und dem lateinischen Wort für morden, metzeln (caedere) ab. Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes enthält eine Definition von Völkermord. Nach Artikel II versteht man darunter, die an einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe begangenen Handlungen:

  1. Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
  2. Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
  3. vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
  4. Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
  5. gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

Was sind die Ursachen für den Genozid in Ruanda? Johann Scheu, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Konstanz hat dazu einen Aufsatz verfasst, der die Ursachen des Völkermordes wie folgt beschreibt:

„Mit nahezu einer Million ermordeten Tutsi zählt der ruandische Völkermord von 1994 zu den größten Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts. Die politische Elite um den damaligen Präsidenten Habyarimana wusste gezielt das über Generationen gewachsene ethnische Konfliktpotential zur Durchführung eines organisierten Genozids einzusetzen. Fünfzehn Jahre nach Beginn des Völkermords ist die juristische Aufarbeitung durch den Internationalen Strafgerichtshof und die ruandische Gerichtsbarkeit noch lange nicht abgeschlossen.

Bis in die 1990er Jahre galt Ruanda, mit etwa acht Millionen Einwohnern das am dichtesten bevölkerte Land Afrikas, als Vorzeigemodell einer gelungenen Entwicklungspolitik. Von April bis Juli 1994 jedoch wurden in Ruanda zwischen 800 000 und einer Million Menschen durch ihre eigenen Landsleute ermordet. Es war die ethnische Minderheit der Tutsi, gegen die sich die Gewalt der Hutu-Bevölkerung vorrangig richtete. Der ruandische Völkermord zeichnet sich dabei vor allem durch zwei Merkmale aus. Zum einen durch den ethnischen Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, dessen Entstehung weit in die koloniale Geschichte Ruandas zurückreicht. Zum anderen durch die politischen Hintergründe und den Organisationsgrad des Genozids, den es deshalb nicht allein auf eine Stammesfehde zu reduzieren gilt.

Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern

Vor Beginn der deutschen Kolonialherrschaft im Jahre 1899 diente die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi zur Beschreibung sozialer Gegensätze. Das Königreich Ruanda wurde von einer Tutsi-Dynastie regiert. Tutsi waren in der Regel wohlhabende Viehzüchter, Hutu dagegen Bauern. Eine ethnische Relevanz besaß diese Unterscheidung aber nicht. Vielmehr zeichneten sich Hutu und Tutsi durch einen reichen Fundus ethnisch-kultureller Gemeinsamkeiten aus: Sie bewohnten dasselbe Territorium, besaßen eine gemeinsame Religion, sprachen dieselbe Sprache und heirateten einander.

Mit dem Kolonialismus jedoch hielt die Hamitentheorie Einzug in Ruanda, welche auf eine rassenideologische Interpretation des Buches Genesis zurückgeht. Nachdem Ham bei seinem Vater Noah in Ungnade gefallen war, verfluchte dieser Hams Sohn Kanaan mit den Worten: „Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern“. Dunkelhäutige Menschen galten in der Hamitentheorie als Nachfahren Hams. Durch seinen Sündenfall waren sie zur rassischen Minderwertigkeit verdammt.

Im Zuge der napoleonischen Ägyptenexpansion wurde die Hamitentheorie zunehmend unhaltbar, da man nun auch auf afrikanische Hochkulturen stieß. Der Afrikaforscher John Hanning Speke versuchte 1863 diesen Widerspruch durch eine Neufassung der Hamitentheorie zu beheben. Der „weißen Rasse“ untergeordnet, seien die Hamiten durch ihre biblischen Wurzeln gleichzeitig der „negriden Urbevölkerung“ Afrikas überlegen. Die Hamiten, Speke zufolge über Äthiopien in den Süden Afrikas vorgedrungen, stellten nun eine Art missing link zwischen Primitivität und Hochkultur dar.

In der Tutsi-Dynastie sahen die Kolonialisten Spekes Hypothese bestätigt. Da Ruanda keine Schriftkultur besaß, war es den Tutsi im Gegenzug möglich, die orale Geschichtsschreibung Ruandas an die Hamitentheorie anzupassen. Ein herrschaftslegitimatorischer Teufelskreis entstand: Die Tutsi untermauerten mit der Hamitentheorie ihren eigenen Herrschaftsanspruch, während die Kolonialisten ihre Theorie hierdurch umso stärker verifiziert sahen. Durch eine Stärkung des ruandischen Königshauses konnten die Kolonialherren ihre eigene Machtstellung in Ruanda festigen.

Infolge des Ersten Weltkriegs ging die Kolonialherrschaft in belgische Hände über. Belgien setzte die konstruierte ethnische Differenz der Ruander 1933 in bürokratische Maßnahmen um. Die Kategorien Tutsi und Hutu (sowie Twa als dritte, kaum vertretene Ethnie) wurden als Identitätsmerkmale in die neu geschaffenen Pässe der Ruander aufgenommen. Der ethnische Rassismus hatte sich nun fest in das politisch-institutionelle Gefüge eingeschrieben. Bei vielen Hutu, in ihrem Selbstverständnis gleichermaßen durch die Hamitentheorie geprägt, wuchs derweil die Wut über ihre Unterwerfung durch eine „fremde“ hamitische Rasse.

 Die Hutu-Republik

Im Zuge des in den 1960er Jahren einsetzenden Dekolonisationsprozesses ergriff Belgien zunehmend Partei für die Hutu. Die Entkolonisation Ruandas fiel deshalb mit einem von Belgien unterstützten Aufstand gegen die Tutsi-Dynastie zusammen. 1962 wurde die unabhängige „Hutu-Republik“ ausgerufen. In den Folgejahren fielen zehntausende Tutsi verschiedenen Pogromen radikaler Hutu zum Opfer, hunderttausende Tutsi flüchteten aus Ruanda.

Nachdem Juvénal Habyarimana 1973 durch einen Militärputsch die Regierungsmacht übernommen hatte, zeichnete sich für kurze Zeit eine Milderung des Konflikts ab. Die gespannte Ruhe der „2. Republik“ endete jedoch mit Beginn der 1990er Jahre. Eine Vielzahl ökonomischer und politischer Probleme tat sich auf. Der Verfall der Weltmarktpreise für Kaffee, Ruandas Hauptexportgut, führte zu einer Wirtschaftskrise, die insbesondere junge Männer in die Arbeitslosigkeit drängte. Dies erklärt den massiven Zulauf, den paramilitärische Milizen, die späteren Ausführer des Genozids, in dieser Zeit verzeichneten. Die Regierungspartei Habyarimanas (MRND) sah sich durch ausländischen Druck zur Einführung eines Mehrparteiensystems gezwungen, was eine Schwächung ihres Machtmonopols bedeutete. Schließlich startete die Rwandian Patriotic Front (RPF), eine überwiegend aus Tutsi-Exilanten der 2. Generation bestehende Rebellengruppe, 1990 ihre Invasion im Norden Ruandas. Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi eskalierte vollends. Ruanda stürzte in den Bürgerkrieg.

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Textbanner im KGM: Verhandlungen in Arusha

Im tansanischen Arusha fanden deshalb Friedensverhandlungen zwischen der RPF und der MRND statt. Das Arusha-Abkommen vom Januar 1993, welches eine Regierungsbeteiligung der RPF vorsah, wurde von Seiten extremistischer Hutu als erneute Machtergreifung der Tutsi propagiert. Als schließlich Präsident Habyarimana am 6. April 1994 beim Anflug auf den Flughafen Kigalis durch ein bis heute ungeklärtes, möglicherweise jedoch von Hardlinern seiner eigenen Partei geplantes Attentat getötet wurde, waren die Vorkehrungen zum Völkermord bereits getroffen. Mit computererstellten Todeslisten im Gepäck errichtete die regierungsnahe Interahamwe-Miliz sofort in allen Teilen der Hauptstadt Straßensperren.

100 Tage Hölle

Obwohl die RPF für das Attentat verantwortlich gemacht wurde, ermordeten die Milizen zunächst die überwiegend aus moderaten Hutu bestehende politische Opposition. Je stärker dabei die Vernichtung der Tutsi in den Vordergrund rückte, desto mehr wich der hohe Organisationsgrad des Genozids einer Eigendynamik der Gewalt. Schätzungen gehen davon aus, dass sich bis zu 60% der männlichen Hutu, mit Macheten und Nagelkeulen bewaffnet, am Töten beteiligten.

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Infotafeln im KGM: Die Propagandamaschine

Ein in der Bevölkerung stark ausgeprägter Autoritätsglaube wurde durch eine mediale Propaganda infiziert, die  besonders durch den Radiosender Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) vorangetrieben wurde. Unmittelbar vor dem Genozid ließ die Regierung überall im Land kostenlos Hörfunkgeräte verteilen. Das regierungsnahe RTLM, welches mittlerweile das Sendemonopol innehatte, berichtete fortlaufend über fiktive Massaker der RPF an Hutu, um die Ermordung der Tutsi als Verteidigungsmaßnahme zu rechtfertigen. Die Bevölkerung konnte die von RTLM verbreiteten Nachrichten nicht durch einen Rückgriff auf alternative Informationsquellen infrage stellen.

So setzte sich die gleichsam barbarische wie sexualisierte Gewalt an den Tutsi über Monate hinweg fort. Dem ruandischen Militär strategisch überlegen, nahm die RPF unter Führung des heutigen Präsidenten Paul Kagame Anfang Juli 1994 Kigali ein. Begleitet von einem Exodus von Millionen Hutu, die aus Angst vor der RPF die Flucht ergriffen hatten, wurde der ruandische Völkermord beendet.

Rolle der Medien: Vom Beginn des Jahres 1992 an bis zum 17. Juli 1994 organisierte Joseph Serugendo, in seiner Funktion als bedeutendes Mitglied der Interahamwemiliz,Versammlungen auf denen er zur Tötung der Tutsi aufrief. Zwischen dem 8. April 1993 und Juli 1994 beschloss Serugendo den Radiosender RTLM dazu einzusetzen, Hassparolen gegen die Tutsi zu verbreiten und zu deren Ausrottung aufzurufen. Der Sender RTLM sendete mehrmals täglich den Aufruf „Tod! Tod! Die Gräben sind erst zur Hälfte mit den Leichen der Tutsi gefüllt. Beeilt euch, sie ganz aufzufüllen“. RTLM verriet Orte an denen sich Tutsi aufhielten und rief die Hutu dazu auf, sie aufzusuchen und zu töten.

Ein zu schwaches Mandat

Während die RPF im Alleingang Region um Region einnahm, war die seit 1993 zur Überwachung des Friedensprozesses im Land stationierte United Nations Army Mission for Rwanda (UNAMIR) unfähig, das Morden aufzuhalten. Mit einem zu schwachen Mandat ausgestattet, war den etwa 2500 Blauhelmen der Waffengebrauch nur im Selbstverteidigungsfall erlaubt. Eine Mandatserweiterung nach Kapitel VII der UN-Charta (friedenserzwingende Mission) wurde im UN-Sicherheitsrat blockiert. Dabei hatten sich der UNAMIR bereits bei Missionsbeginn Anzeichen eines bevorstehenden Genozids aufgedrängt.

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Infotafel im KGM

Im Januar 1994 wurde der kanadische Befehlsleiter Roméo Dallaire über illegale Waffenlager und die Erstellung von Tutsi-Todeslisten informiert. Sein Vorhaben, jene Lager auszuheben, wurde ihm durch Kofi Annan, damals Unter-Generalsekretär der UNO und verantwortlich für friedenserhaltende Einsätze, untersagt. Rückblickend auf seine zahllosen Warnungen vertritt Dallaire heute noch die Überzeugung: Mit 5000 Blauhelmen und einem robusten Mandat hätte der Völkermord verhindert werden können.

Nach der Ermordung von zehn belgischen Soldaten durch die Interahamwe wurde die UNAMIR auf 270 Mann reduziert. Tausende Ruander, die in der Nähe der UN-Quartiere Schutz gesucht hatten, wurden hierdurch dem sicheren Tode ausgeliefert. Derweil vermied es insbesondere die USA, die Geschehnisse in Ruanda als Genozid zu bezeichnen. Denn gemäß der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords wäre es genau dieser Begriff gewesen, der den UN-Sicherheitsrat zum Handeln gezwungen hätte. Ein Jahr zuvor in Somalia mit der Operation Restore Hope tragisch gescheitert, schreckte die USA jedoch vor einer erneuten humanitären Intervention zurück. Als am 17. Mai schließlich doch noch eine Aufstockung der UNAMIR um 5500 Soldaten samt einem robusten Mandat beschlossen wurde, kam diese Entscheidung zu spät. Als der Genozid durch die RPF beendet wurde, existierte UNAMIR II lediglich auf dem Papier.

Frankreich, ein Verbündeter Habyarimanas, errichtete stattdessen Ende Juni in eigener Regie eine Schutzzone im Südwesten Ruandas. Obwohl die Opération Turquoise vielen Tutsi das Leben rettete, stieß das Vorgehen Frankreichs auf erhebliche Kritik. Vielen Verantwortlichen des Genozids gelang unter Duldung des französischen Militärs eine Flucht ins benachbarte Zaire. Zudem wurden auch die vor der RPF fliehenden Hutu-Milizen nicht entwaffnet, was eine massive Destabilisierung der Region zur Folge hatte. Der Ausbruch des Kongo-Krieges hat hierin eine seiner Hauptursachen.

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Bugsera, 1992 Genocide was being rehearsed. Multiple massacres of Tutsi were carried out from October 1990 up to February 1994, notably in Bugesera

Die Last der Vergangenheit

Zur juristischen Aufarbeitung des Genozids richteten die Vereinten Nationen Ende 1994 den in Arusha tagenden Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) ein, welcher sich mit Anklagen gegen die Organisatoren des Völkermords befasst. Trotz erheblicher Kritik an seiner Ineffizienz konnte der ICTR bedeutende Urteile verzeichnen. Der Tatbestand der sexuellen Gewalt wurde explizit als Völkermordhandlung definiert, zudem erfolgte in Arusha die historisch erste Verurteilung auf Basis der UN-Völkermordkonvention überhaupt. Alle ausstehenden Verfahren des ICTR sollen bis 2010 abgeschlossen sein.

Das Gros der Verhandlungen indes bleibt der Gerichtsbarkeit Ruandas selbst überlassen, das sich durch diese Aufgabe rasch überfordert zeigte. Da Hunderttausende von vermeintlichen Tätern ihren Prozess aus zeitlichen Gründen nicht mehr hätten erleben können, entschied sich die Regierung 2002 zur Wiedereinführung der vorkolonialen Gacaca-Gerichte.

Als eine Form kommunaler Rechtsprechung, die auf einem Dialog zwischen Täter und Opfer basiert, sollten die von Laienrichtern geführten Gacaca-Prozesse eine soziale Versöhnung der Bevölkerung bewirken. Doch ist die Begeisterung, mit der den rund 13000 Gacaca-Gerichten anfangs begegnet wurde, inzwischen Skepsis gewichen. Verstärkt wurde dem ruandischen Rechtssystem vorgeworfen, eine Siegerjustiz zu betreiben. Dass die RPF-Regierung sich bis heute weigert, an der Aufarbeitung der eigenen während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen mitzuwirken, erhärtet diesen Verdacht.

Ob die ruandische Bevölkerung ihre Vergangenheitslast wird bewältigen können – diese Frage hat auch 15 Jahre nach dem Völkermord nichts an ihrer Dringlichkeit verloren. Im post-genozidären Ruanda wurden die Begriffe Hutu und Tutsi unter Strafandrohung aus dem politischen Diskurs verbannt. Solange jedoch die ethnische Dimension dieser Begriffe durch die blutigen Konflikte im Gebiet der Afrikanischen Großen Seen fortwährend reproduziert wird, bleibt sie auch im Bewusstsein der Ruander präsent. 

Quelle:  https://www.exzellenzcluster.uni-konstanz.de/ruanda.htmlDer Völkermord in Ruanda von Johannes Scheu (Johannes Scheu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe „Idiome der Gesellschaftsanalyse“. Er forscht zu „Kritiken der Exklusion. Zum Phänomen sozialer Ausgrenzung im Feld neuerer Sozialtheorien“.); Fotos: Hendrik Peusch 2016

Völkermord in Ruanda, Genozid im Gotteshaus (und die Rolle der Kirche)

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Bildtafeln im Kigali Genocide Memorial

1994 ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit vor den Augen der Welt im afrikanischen Ruanda auf grauenvolle Weise etwa 800.000 Menschen, überwiegend Angehörige der Tutsi. Die meisten starben in Gotteshäusern, wurden von Priestern nicht beschützt, sondern sogar ausgeliefert. „Dies ist die Gedenkstätte von Nyamata. Früher war das eine katholische Kirche. Nach dem Massaker in der Kirche wurde das Gotteshaus zur Gedenkstätte. Mehr als 10.000 Menschen wurden in dem Gebäude und auf dem Gelände getötet.“ Führung mit Anita Ovinesa. Nyamata liegt südlich von Ruandas Hauptstadt Kigali. In der heutigen Gedenkstätte stehen noch die Bänke von damals. Auf ihnen liegen alte, vermoderte Kleider gestapelt. Es sind die Kleider der Toten.

„Hier ist noch der Original-Altar und die weiße Decke, die damals darauf lag. Sie ist voller Blut. Wir haben hier Beispiele für die Waffen: Macheten, Speere und andere Gegenstände, mit denen die Menschen getötet wurden. Wir haben die Rosenkränze der Opfer und einen alten Personalausweis, auf dem die Einteilung der Menschen durch die damalige Regierung zu sehen ist: Hutu, Tutsi und Twa. Und dort steht das Taufbecken. Es war voll mit Blut, weil sie darin die Köpfe wie in einer Küche abgeschnitten haben.“ In einer Gruft im Hof der Kirche liegen 25.000 Menschen bestattet. Ihre Gebeine können heute besichtigt werden. Als Erinnerung und gegen das Vergessen.

Die katholische Kirche von Nyamata ist eine von zahlreichen Kirchen in ganz Ruanda, die zum Massengrab wurden. Die meisten der 800.000 Opfer des Genozids starben in Gotteshäusern. Viele wurden von den Priestern nicht beschützt oder sogar ausgeliefert. Bis heute belastet dieses Verhalten die katholische Kirche: Während des Genozids verurteilte die Geistlichkeit das Morden nicht. Nach dem Genozid gab es keine Entschuldigung.

Kennedy Ndahiro ist Journalist bei der größten – regierungsnahen – Tageszeitung Ruandas. Er beobachtet das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der ruandischen Bevölkerung seit Jahren. Für ihn hat die katholische Kirche zu wenig getan, um Ansehen zurückzugewonnen. Andere Glaubensgemeinschaften stünden besser da.

„Die anglikanische Kirche hat das Morden verurteilt. Es gab auch unter deren Priestern Mörder. Aber die Kirchenleitung hat das verurteilt. Der heutige Präsident Kagame ist nach dem Krieg in das muslimische Viertel von Kigali gegangen. Er hat sich dort bei den Muslimen bedankt, dass sie sich nicht am Genozid beteiligt haben. Er hätte dasselbe nicht zur katholischen Kirche gesagt.“

Die Kirche gibt dem Kolonialismus eine Mitschuld

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Bildtafeln im Kigali Genocide Memorial

Die katholische Kirche in Ruanda sieht ihre Rolle dagegen völlig anders. Für Bischof Esmeralde Mbonyintege, den Sprecher der Kirche, tragen Kolonialisierung und Missionierung die Hauptschuld: Der Kolonialismus habe das Rassendenken in der Kirche und ihren Bildungseinrichtungen verfestigt. Nicht alle Geistlichen hätten sich dem entziehen können. Den Rest habe die postkoloniale Politik erledigt:

„Wahrscheinlich war unsere Kirche nicht dafür bereit, die Märtyrer-Rolle einzunehmen. Die Kirche musste sich entscheiden: entweder sterben oder sprechen. Die Machthaber erkannten dieses Dilemma und haben es für sich ausgenutzt.“

Außerdem habe sich die katholische Kirche bei einer Synode im Jahr 2000 entschuldigt.

In einem Hotelrestaurant in Kigali hat Tom Ndahiro sein mobiles Büro aufgebaut. Er ist einer der bekanntesten Genozidforscher in Ruanda. Auch er unterstreicht die Verfehlungen der katholischen Kirche, kennt aber auch Ausnahmen:

„Es gibt den Fall von Kayonza. Der katholische Priester dort hat sich vor die Mörder gestellt und ihnen gesagt, dass sie die Menschen in seiner Kirche nicht töten können, bevor sie ihn getötet haben. Sie haben ihn getötet. Aber er hat Courage gezeigt.“

Courage bewies auch Celestine Hakizimana. Die Geschichte des Priesters ist eine der wenigen positiven Beispiele für das Verhalten der katholischen Kirche im Genozid in Ruanda. Die Kirchengemeinde Saint Paul mitten in Kigali. Hier gibt es eine Fortbildungseinrichtung für Priester, eine Kirche und ein einfaches Gästehaus. 1994 hat der junge Priester Celestine hier bis zu 1500 Menschen das Leben gerettet. Auch Joseph Bitega gehörte dazu. Er besucht das Zimmer, in dem er sich damals versteckt hatte.

„Hier ist Nummer 37. Hier hat mich Vater Celestine versteckt, als ich angekommen bin. In den Zimmern waren überall Flüchtlinge untergebracht.“

Mehr als zwei Monate hat Celestine, selber ein Hutu, die Flüchtlinge – überwiegend Tutsi – beschützt. Immer wieder stand er den unberechenbaren Milzen gegenüber. Heute erzählt er, dass er sich selber nicht sicher war, wie seine Aktion ausgehen würde:

„Wenn die Interahamwe Saint Paul angegriffen haben, war das eine Attacke, gegen die wir uns nicht wehren konnten. Wir hatten nur die Macht der Moral und des Gebets auf unserer Seite.“

Oft habe er die Milizen mit Geld, Alkohol oder anderen Geschenken bestochen.

Ein Priester vergewaltigt Frauen und selektiert Todeskandidaten

100 Meter neben Saint Paul liegt die Kirche Sainte Famille. 20.000 Menschen flüchteten sich 1994 hierher. Doch der damalige Priester Wenceslas Munyeshaka verschleppte viele Frauen in ein nahes Hotel, um sie dort zu vergewaltigen. Drängten zu viele Flüchtlinge in die Kirche, wählte der Priester die aus, die erschossen werden und anschließend in Massengräbern verscharrt werden sollten Auch Nyiringondo war darunter.

„Wir wurden in Autos gebracht und sollten zur Hinrichtungsstätte gefahren werden. Aber auf dem Weg dahin konnte ich entkommen. Ich rannte weg und sie haben auf mich geschossen. Aber ich hatte Glück und wurde nicht getroffen.“

Munyeshaka trug Gewehr und Pistole. Er zeigte sich gerne mit den Milizen und bedrohte die Flüchtlinge immer wieder. Bis heute lebt er unbehelligt in Frankreich. Die katholische Kirche in Ruanda aber fühlt sich dafür nicht verantwortlich. Es handle sich um Verbrechen von Individuen und nicht um Taten der Institution. Das gelte auch für den Fall des Priesters von Sainte Famille, sagt Bischof Mbunyintege.

 „Wenn Wenceslas, der in den Genozid verwickelt war und der noch nicht verurteilt wurde, in Frankreich lebt, dann ist das die Sache von Frankreich. Da er nicht in unseren Diözesen arbeitet, warten wir darauf, dass er verurteilt wird.“
 
Quelle: Deutschlandradio (von Jeske Johannsen); Fotos: Hendrik Peusch 2016

Neben den Gräueltaten in Ruanda zeigt das Museum auch die Schatten der Geschichte anderer Länder und Kontinente:

Armenien 1915-1916, Das Dritte Reich The Holocaust 1993-1945, Kambodscha 1975-1979 und im Kosovo 1989-1999, was sicherlich nicht als Rechtfertigung zu verstehen ist.

 1DX_3228Im Vernehmungshandbuch der Khmer ist folgende Anweisung zu finden:

„Break them with the pressure of propaganda or break them with torture. Don’t allow them to die; don’t allow them to deteriorate to the point where it’s no longer possible to question them.” (Khmer Rouge Interrogator’s Manual)

 Ein Überlebender eines Gefängnisses schrieb:

 „I try to forget, but it is unless. I can’t forget even a small part of it. Even after 20 years, when I think of it, I can still feel terrified… (Mr. Vann Nath, 56, is one of just seven people who survived the torture house of Tuol Sleng prison)

Doch es gibt auch Hoffnung!

Im Genozid Denkmal/ Museum sind auch Fotos junger Runder und Ruandarinnen zu sehen auf denen Worte der Hoffnung zu finden sind:

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 My choice is to not take revenge, but instead to live in a good way.

„I was ten when the genocide began. The day we heard that my father has bin killed we all started crying. My Mother told us to pray. I asked God to help me to take revenge. My mother told me to remove the part about revenge from my prayer. She said, „Even if I die, do not take revenge. It is not good.”“” (OLIVER)

„To see survivor’s lives changing, that’s what brings the hope for tomorrow.” (EVARISTE)

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Als Zeichen unserers Mitgefühls für die Angehörigen und zum Gedenken an die Toten legten wir auf einem Massengrab Gränze nieder.
 So etwas darf nicht wieder passieren!